Elisabeth Müller
  Rosianna
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Rosianna

In früheren Arbeiten hat Elisabeth Müller gern das Prinzip der Serie angewendet, wenn es galt, etwa in postexpressionistischer Manier, in der Variation des Motivs der Sache auf den Grund zu gehen. Viele Gesichter bezeugten dann, was denn überhaupt Gesicht sein kann. So wurde das Gesicht schlechthin gesichtet. Diese Strategie des Kunsttuns hat sie auch medial vielseitig ausgeübt. So in Druckserien, aber auch in Aquarellen.

Seit 2, 3 Jahren hat Elisabeth Müller ein Kardinalthema gefunden: Rosen. Die Kulturgeschichte ist reich an Verbindungen und Verwendungen der Rose in vielerlei Besetzungen und Konnotationen der Rose als Metapher. Immer aber wird mit dem Motiv der Rose Vergänglichkeit, mitunter Schönheit und im Religiösen Sittsamkeit, etwa beim Marienkult, angesprochen. So ist die rote Rose im Mittelalter Symbol der Märtyrer, die weisse Rose im Dritten Reich Symbol des politischen Widerstandes. Am häufigsten aber im Minnegesang, wo die Rose höfische Erotik geistig und geistlich zu sublimieren hatte. Die Rose selber blieb dabei als solche geheimnisvoll und in ihrem Wesen offen für Erfahrungen des Bewusstwerdens und Bewusstseins vorher ungeahnter Sphären. Gertrude Stein hat dafür, für die Künste generell, den bekannten Satz gesprochen: „Une rose est une rose est une rose...“.

Elisabeth Müllers Rosenbilder und Rosenwandobjekte stehen in diesem Bewusstseinsstrom, ohne sich jedoch ausdrücklich auf diese mächtige Tradition zu berufen. Freilich ist ihr der Marienkult nicht unbekannt, etwa Martin Schongauers „Madonna im Rosenhag“ von 1473 in der Dominikanerkirche in Colmar oder Dantes „Paradiso“, wo Maria auf Blütenblättern im Kelch der weissen Himmelsrose zur Erscheinung kommt. Die Bildkunst am Oberrhein hat diese Symbolik seit dem 13. Jahrhundert mit der stehenden Madonna im Rosengarten oder Rosenhag fortgeschrieben. Am ehesten dürfte sich Elisabeth Müller verwandt fühlen bei ihrem künstlerischen Gebrauch des Motivs mit einer wie Hildegard von Bingen (Phys. I, 22), die anhand der Rose das menschliche Bewusstwerden öffnet und in irdisch-überirdische Dimensionen leitet.

Dabei geht Elisabeth Müller ganz nüchtern mit ihrer Bildtechnik zu Werke. Oel auf Baumwolle oder Leinen bei den Bildern, und Sperrholz und ähnliches Material als Bildträger, wenn sie nach Vorzeichnung die gestimmte Form mit der Stichsäge herstellt. Eine subtil-ausdifferenzierte, warm-kräftige Farbgebung bezeugt dann im Lichte der Bilderscheinung, was im Lichte der Anschauung und Erfahrung steht. Gold, und das ist wie selbstverständlich, kommt hierbei eine besondere Zentrierung in der Sichtbarmachung des bis anhin nicht Sichtbaren zu. So kann die Rose zum Zeichen von Bewusstseinsstufen und ein Bewusstseinszustand erreicht werden, der über das Dingliche hinausweist und die Grenzen der sogenannten Realität übersteigt, ohne diese zu negieren, in Sphären anderer Dimensionen und Wertigkeiten. Geheimnisvoll dieses, eben wie Rosen geheimnisvoll sind. Stets sind diese Bildaufbrüche, wo Gold auf Zukünftiges verweist, ein Angebot an den Betrachter, den sinnlichen Energien dieser Bilder mit der eigenen Produktion von Energie der Sinne zu antworten. In dem Bereich, wo Kunst anfängt und nie aufhört.

Siegmar Gassert

4. Januar 2003

P.S.: „L’important c’est la rose“ Gilbert Bécaud